GEBRANNTE KINDER - Hamburg im Juli 1943

Unser Haus ist fort

Unsere Dankeskirche ist fort

Unsere Schule am Luisenweg

Unsere Nachbarn und Freunde

Ein Teil unseres Lebens, unserer Kindheit
ist im Feuersturm einer einzigen Nacht untergegangen -

Südhamm, Borstelmannsweg 149, nahe der Bille: 27./28. Juli 1943

 Es ist wie immer seit zwei Jahren. Wir werden durch Sirenengeheul aus dem Schlaf gerissen. Schnell anziehen, die zwei Koffer, die auf dem Flur bereit stehen, greifen und die Treppen hinunter in den Keller rennen. Beeilung tut not. Kaum sind wir mit unseren Nachbarn im Keller versammelt, geht das grässliche Brummen der Bomber los, schier endlos. Die ersten Sprengbomben fallen. Der Keller bebt und wackelt, hebt und senkt sich. Ein furchtbarer Druck lastet auf den Ohren, auf dem Kopf, dem ganzen Körper und nimmt uns den Atem. Ich soll den Mund aufmachen, sagt meine Mutter. Wir haben entsetzliche Angst, aber keiner sagt ein Wort oder jammert. Mein Bruder, 15 Jahre, ich, 8 Jahre alt, und einige unserer großen Nachbarjungen haben sitzend einen Kreis gebildet, die Arme über die Schultern des Anderen gelegt, die Köpfe zur Mitte nach unten gebeugt, hoffend, so Schutz zu finden und diese Katastrophe zu überleben. -

 Das Pfeifen, Jaulen und Dröhnen nimmt kein Ende. Rauch dringt vom Treppenhaus her in den Keller. Es lodern Flammen vor dem Ausgang. Ein Mann trommelt draußen auf der Straße an das mit einer Stahltür verrammelte Kellerfenster: "Sie müssen hier `raus!" Aber wie? Unser Hauswart (Gott sei ihm Dank), außer einem alten gebrechlichen Nachbarn, der einzige Mann im Keller, wuchtet einen dicken Holzsandkasten von der Kellertür, die zum angrenzenden Torweg führt. Dort brennt Phosphor, und es liegt ein Toter am Boden. Schnell wieder zumachen. Jemand sagt, das sei die Dame mit dem kleinen Äffchen aus dem Hinterhof. Es bleibt nur das kleine Fenster zur Straße. Aber die Eisenplatte geht nicht zu öffnen, ist vom Druck festgeklemmt. Der Hauswart findet im Keller eine Brechstange, und es gelingt ihm endlich, das Fenster und die Eisenplatte aufzubekommen. -

Der Angriff ist beendet. Hat er eine Stunde gedauert? Die Bomber sind endlich fort. Aber draußen donnert, knistert und rauscht das Feuer - die ganze Straße ist ein Flammenmeer. Doch wir müssen aus dem Keller heraus von einer Hölle in die andere. Unser Retter schiebt eine Person nach der anderen zum kleinen Kellerfenster und hindurch auf die Straße. Später erzählt er uns, daß er es nicht geschafft hat, den alten, behinderten Mann durch das Fenster zu heben - er muss ihn in der Hitze des Kellers zurücklassen. Ich komme als erste unserer Familie auf die Straße. Gegenüber brennt lichterloh ein Tonnenlager. Kopflos laufe ich darauf zu, meine Schildkrötpuppe und einen kleinen roten Koffer im Arm. Als nächster springt mein Bruder hinaus und läuft mir nach.

 Er hat mir das Leben gerettet. Meine Mutter, etwas korpulent, hat Schwierigkeiten mit dem Durchkommen durch das kleine Fenster, aber dann sind wir Drei vereint. Ein Blick an unserem Haus empor zeigt uns züngelnde Flammen an unserem Wohnzimmerfenster. In panischer Angst laufen wir fort im Funkenhagel, der uns seitlich gegen die Beine schlägt. "Aua, aua" schreie ich. "Wirf die Puppe weg!" ruft Mutti. Sie hat Angst wegen der Brennbarkeit des Zelluloids. Ich halte meine Martha und meinen Puppenkoffer fest. Mein einziger Besitz.

Was sind das für seltsame Haufen, die dunkel auf dem Pflaster liegen? Als Kind ahne ich nur die grausige Wahrheit. Wir hasten in Richtung Süderstraße und Kanal, wo wir eine Stelle finden, die frei von Wind und Funkenflug ist. Ein SA-Mann kommt hinzu, nimmt mich auf den Arm und rennt in Richtung Hochbunker. Meine Mutter und mein Bruder können gar nicht so schnell folgen. Der Bunker ist voll von Menschen. Wir finden noch Platz auf einer Bank. Auch russische Kriegsgefangene sehe ich. Sie kommen aus dem Lager, das neben unserem Hinterhof-Grundstück liegt. Von den Baracken wird nichts übrig geblieben sein. Der Bunker ist voller Rauch, Husten und Würgen. Helfer bringen in ihren Helmen Wasser aus dem nahe gelegenen Kanal. In unserem kleinen Handkoffer haben wir Frottiertücher, die wir nass machen und über unseren Kopf hängen. Die Bunkertür ist offen, und wir hören von draußen das Brechen der Dachstühle und Mauern. Meine schöne Welt geht unter; daß ich noch lebe, ist mir nicht bewusst.

Am frühen Morgen - der beginnende Sommertag ist dunkelgrau vom Rauch, ohne Sonnenstrahl - verlassen wir den Bunker und kommen in der Turnhalle der Osterbrook-Schule unter. Dort können wir uns hinlegen. Ich glaube, wir haben gar nichts mehr gedacht oder empfunden. Auf einmal läuft meine Mutter suchend umher und ruft nach meinem Bruder. Er ist verschwunden.. Die Aufregung ist groß. Nach einiger Zeit taucht er gottlob wieder auf. Er ist zu unserem Haus gelaufen, um nachzusehen, ob noch irgendetwas zu retten ist. Doch es ist zwecklos; das Feuer hat sich schon bis zum ersten Stock herunter gefressen. Unsere gesamte Habe ist weg. Wohin sollen wir gehen? Ein Flüchtlingsstrom formiert sich in Richtung Bergedorf - nur fort aus diesem Grauen. Wir schließen uns an. Wer weiß, was morgen ist, ob die Bomber wieder kommen. Wir müssen uns in Sicherheit bringen. Man lässt uns nicht. Auf dem Wege aus der Stadt werden wir von Tieffliegern beschossen, "Tak-tak-tak", und wir werfen uns in den grünen Graben. Ein junger Mann wirft sich über mich, um mich zu schützen. Es gibt noch Engel.

Als unser langer Treck in die ländlichen Gebiete kommt, reichen uns die besorgten Anwohner Getränke, Saft und Wasser. Wir sind völlig ausgedörrt, schmutzig und sehr dankbar. Von Bergedorf werden wir in einem Zug nach Büchen gebracht. Dort können wir uns im Bahnhof waschen. Meine blonden Haare sind dunkelgrau. Eine Frau schenkt mir einen Rest Shampoo, sodaß meine Mutter mir die Haare waschen kann. In der Nacht finden wir Ruhe auf einem Strohlager in einer Scheune. Am nächsten Tag beginnt eine Irrfahrt auf der Suche nach einer sicheren Bleibe über Grevesmühlen, Oldenburg/Holstein, Stendal, Glinde...........

Meine beste Freundin Helga habe ich nicht wieder gefunden.

 

Hamburg, Februar 2003

Überarbeitet Dezember 2008

Unvergessen



Meine Reise auf die Krim im Mai 2005
Mit Besuch des Soldaten-Friedhofes Gontscharnoje

 




Du warst ein Soldat
Jung und schön und verwegen
Trankest Fanfaren und Fahnen
Säbelrasseln, zündende Reden
Glanz und Glorie
Siegeseuphorie - Todesahnen
Du warst ein Liebster, fern
Sehnsuchtsvoll und zart
Schriebst Liebesbriefe im Graben
Maschienengewehr am Herzen
Nichts war göttlich und erhaben
Grausam ging´s zu und hart
Heimgekehrt wärst du wohl gern
Als die Sonne aufging, kalt im Osten
Blutrot sich senkte in Schmerzen
Dahin welkte die Hoffnung, aschfahl
Ritterkreuz und Helm aus Stahl
Stolz getragen, fielen in Schlamm
Zum Rosten

Wiesenblumen wiegen sich im Wind
Sommerwarm von Süden
Lachen mich freundlich an
Erinnern mich an ersten Frieden
Lang ersehnt nach bösem Krieg
In meiner Stadt erlebt als Kind
gleichwohl , ob Niederlage oder Sieg-
Damals, an allen Dingen arm
golden das Korn, der Mohn so rot
Soldaten und Panzer und Tod
War der Sommer auch so warm
Sehnt' ich mich nach frischem Brot
Barfuß durch den Wald getollt
Für Kaninchen Löwenzahn geholt
Feindlich Kettenrasseln am Dorf vorbei
Schokolade hätt' ich gehabt so gern
Die Häuserreihen stumm erbeben
Vater und Bruder sind fern
Werden bald heimkommen, hoffentlich
Viele Tränen rannen im Mai
Meine Stadt, waidwund,
hat sich ergeben